Vereinbarung
zwischen dem Regierungsrat des Kantons Zürich
und dem Stadtrat von Zürich über die Ausübung
der Kriminalpolizei und des Staatsschutzes
(vom 22./29.Oktober 1970) FN1
Der Regierungsrat des Kantons Zürich
und
der Stadtrat von Zürich vereinbaren,
gestützt auf § 23 Abs. 2 des Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 FN2:
I. Allgemeine Bestimmungen
Gemeinsamer Sitz
Art. 1. Die Kriminalabteilungen der Kantons- und der Stadtpolizei Zürich haben ihren Sitz im Gebäude Zeughausstrasse 11 und 21 in Zürich. Davon ausgenommen sind der Unfall-, Foto- und Zeichendienst der Stadtpolizei und die Organe des Staatsschutzes.
Die kantonalen Polizeiposten in der Stadt Zürich und der Detektivposten der Stadtpolizei in Oerlikon bleiben bestehen.
Bei Veränderungen von Posten der kantonalen oder der städtischen Kriminalpolizei ist personell und räumlich eine enge Zusammenarbeit anzustreben.
Die Organisation der Stadtstationierten der Kantonspolizei und diejenige der Revierdetektive der Stadtpolizei ist aufeinander abzustimmen.
Zweck
Art. 2. Die örtliche Zusammenlegung und die in dieser Vereinbarung festgelegten Grundsätze bezwecken
- die Vertiefung der Zusammenarbeit in den Bereichen der präventiven und der repressiven Verbrechensbekämpfung;
- die bestmögliche Koordination der personellen und der technischen Mittel.
Unterstellung
Art. 3. Soweit diese Vereinbarung nichts anderes bestimmt, unterstehen die beiden Kriminalabteilungen in rechtlicher, organisatorischer, fachlicher und personeller Hinsicht ihren Korpsleitungen. Zusammengelegte Dienste können fachlich der Kantons- oder der Stadtpolizei unterstellt werden.
Rekrutierung und Ausbildung
Art. 4. Die Rekrutierung der Organe für die Kriminalabteilungen bleibt Sache der beiden Korps.
Die Stadtpolizei ist berechtigt, einen Fünftel der Polizeibeamtenstellen bei der Bezirksanwaltschaft Zürich zu besetzen; auf Begehren der Direktion der Polizei ist sie hiezu verpflichtet. Es sind Beamte vorzusehen, die der städtischen Kriminalpolizei zugeteilt werden.
Der Minimalbestand der städtischen Kriminalabteilung basiert auf dem Korpsetat im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vereinbarung.
Besitzstand
Art. 5. Allen Korpsangehörigen der Kantons- und der Stadtpolizei sowie allen Zivilangestellten, die von der örtlichen Zusammenlegung betroffen werden, ist der Besitzstand garantiert.
Stellenanteil
Art. 6. Bewirkt die Tätigkeit der Stadtpolizei auf Stadtgebiet eine Erhöhung des Geschäftsanfalles bei einem nach dieser Vereinbarung zusammengelegten Dienst, so dass dieser verstärkt werden muss, stellt die Stadtpolizei das notwendige zusätzliche Personal.
Wächst die Geschäftslast eines solchen Dienstes aus andern Gründen, stellt die Kantonspolizei das nötige Personal.
Anwendung
Art. 7. Lücken und Unklarheiten, die sich aus der Anwendung dieser Vereinbarung ergeben, sind von den Organen der beiden Korps auf dem Dienstweg zu melden. Die beiden Korpsleitungen haben Differenzen im Sinne dieser Vereinbarung zu bereinigen. Bei Meinungsverschiedenheit entscheidet, nach Anhören des städtischen Polizeivorstandes, der kantonale Polizeidirektor.
Verbindlichkeit
Art. 8. Diese Vereinbarung ist für alle im Kanton Zürich für die Durchführung von Strafuntersuchungen zuständigen Behörden und Beamten bei Inanspruchnahme der Kriminalpolizei und des Staatsschutzes verbindlich. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen der Strafprozessordnung FN2.
II. Kriminalpolizei
A. Sachliche Zuständigkeit
Art. 9. Die Kantons- und die Stadtpolizei behandeln im Bereich der Verbrechensverfolgung die bei ihnen anhängig gemachten Kriminalpolizeigeschäfte selbständig bis zur Überweisung an die zuständige Behörde.
Bei der Verbrechensvorbeugung handeln die beiden Korps grundsätzlich gemeinsam; vorbehalten bleiben der Kantonspolizei die Betreuung des Kriminalmuseums und der Stadtpolizei diejenige der Zentralen Beratungsstelle für Verbrechensverhütung.
Kriminalpolizeiliche Registraturen und Archive sowie die Kriminalstatistik sind gemeinsam zu führen.
Sittenpolizeiliche Geschäfte administrativer Natur auf dem Gebiet der Stadt Zürich fallen in die Zuständigkeit der städtischen Kriminalpolizei.
Art. 10. Die Kantonspolizei verzichtet auf ein eigenes Anzeigebüro in der Kaserne und im Hause Zeughausstrasse 11 und 21, die städtische Kriminalpolizei auf ein solches auf der Hauptwache.
Die städtische Kriminalpolizei führt am gemeinsamen Sitz das Detektivbüro. Aus dessen Mannschaft wird zusammen mit der kantonalen Pikettdienstgruppe der kriminalpolizeiliche Bereitschaftsdienst für das Stadtgebiet gebildet.
Art. 11. Für die Leitung kriminalpolizeilicher Aktionen steht eine gemeinsame Zentrale (Kripo-Leitstelle) zur Verfügung.
Art. 12. Bei Tötungsdelikten und den qualifizierten Tatbeständen von Raub, Brandstiftung und Notzucht organisieren die Brandtouroffi-
ziere den ersten Einsatz der Mannschaften und der technischen Mittel. Die Verantwortung liegt beim Brandtouroffizier desjenigen Korps, bei welchem die Meldung über das Ereignis zuerst eingegangen ist. Der kantonale Polizeikommandant überträgt, nach Anhören des städtischen Polizeiinspektors, die Oberleitung der Bearbeitung des Falles entweder dem kantonalen oder dem städtischen Chef der Kriminalpolizei.
Art. 13. Liegen gegen eine festgenommene Person bei beiden Korps Strafanzeigen vor, so ist eine Vereinigung der Sachbearbeitung vorzunehmen.
Gehen über ein bereits bei einem Korps an die Hand genommenes Geschäft Meldungen beim andern Korps ein oder macht es Feststellungen, die sich auf ein solches Geschäft beziehen, sind sie ohne Weiterungen an das behandelnde Korps weiterzuleiten.
Art. 14. Die Spezialdienste der kantonalen und die entsprechenden Fachgruppen der städtischen Kriminalabteilung haben sich gegenseitig über den Stand und die Ergebnisse der hängigen Ermittlungsverfahren zu orientieren, soweit dies im Interesse der Koordination liegt.
Bei Bedarf sind gemischte Sachbearbeitergruppen zu bilden.
Art. 15. Die Einberufung überörtlicher Sachbearbeiterkonferen-
zen ist Sache der Kantonspolizei. Über die Delegation an auswärtige Sachbearbeiterkonferenzen einigen sich die Chefs der Kriminalabteilungen.
B. Örtliche Zuständigkeit
a) Grundsatz
Art. 16. Die Stadtpolizei beschränkt ihre Tätigkeit grundsätzlich auf das Stadtgebiet. Selbständige Handlungen ausserhalb des Stadtgebietes sind nur bei Nacheile zulässig. Die Bestimmungen des Art. 356 StGB FN3 gelten sinngemäss.
b) Erweiterungen
Art. 17. Ergibt sich bei einem bei der Stadtpolizei hängigen Kriminalpolizeigeschäft die zeitlich unaufschiebbare Notwendigkeit zu Amtshandlungen auf dem übrigen Kantonsgebiet und ist dabei die Anwesenheit städtischer Kriminalbeamter gegeben, so führt die Kantonspolizei die betreffenden Amtshandlungen zusammen mit dem städtischen Funktionär durch. Die entsprechenden Rapporte erstellt die Kantonspolizei.
Art. 18. Bearbeitet die Stadtpolizei ein Kriminalpolizeigeschäft, dessen Auswirkungen über das Gebiet der Stadt Zürich hinausreichen, sprechen die Chefs der beiden Kriminalabteilungen gegenseitig ab, ob
- die ausserstädtischen Amtshandlungen unter Zuzug von Organen der städtischen Kriminalpolizei durchzuführen seien;
- die weitere Sachbearbeitung durch eine gemischte Sachbearbeitergruppe zu erfolgen habe;
- die ausserstädtischen Amtshandlungen durch die Kantonspolizei zu übernehmen seien.
Beim Entscheid sind besondere Kenntnisse des Falles zu berücksichtigen.
Art. 19. Erfordert ein Geschäft die Anwesenheit der zürcherischen Kriminalpolizei ausserhalb des Kantonsgebietes und liegt das Einverständnis der ausserkantonalen Behörde dazu vor, handelt die Kantonspolizei. Verfügt die Stadtpolizei über besondere Kenntnisse des Falles, hat die Kantonspolizei sie zuzuziehen; sie kann ihr, im Einverständnis mit den ausserkantonalen Behörden, die weiteren Ermittlungen selbständig überlassen.
Art. 20. Die Kantonspolizei kann bei Bedarf die städtische Kriminalpolizei zur Mitarbeit ausserhalb der Stadt Zürich anfordern.
C. Fahndung im besonderen
Art. 21. Die Chefs der beiden Kriminalabteilungen haben die Aussenfahndung durch gemeinsame Rapporte, durch den Austausch von Journalen, Nachrichten und andern Unterlagen sowie durch gemeinsame Anweisungen zu koordinieren.
Art. 22. Die kriminalpolizeiliche Prüfung der Hotelmeldescheine, die Betreuung der Hotels, Gasthöfe, Pensionen und dergleichen auf dem Gebiet der Stadt Zürich hat hälftig nach Weisung der beiden Chefs der Kriminalabteilungen zu erfolgen.
Art. 23. Die überörtlichen Personen-, Sach- und Fahrzeugfahndungen werden von der Kantonspolizei verbreitet.
Art. 24. Bekanntmachungen von örtlicher Bedeutung an be-
stimmte Berufsgruppen, Geschäfte oder Personen können von beiden Korps nach gegenseitiger Orientierung selbständig erlassen werden. Sofern die Sachbearbeitung gemeinsam erfolgt, sind überörtliche Bekanntmachungen dieser Art gemeinsam zu erlassen.
Mitteilungen an die Presse sowie an die Radio- und Fernsehstudios bearbeitet das handelnde Korps. Sie werden als Verlautbarungen unter dem Titel «Die Kriminalabteilungen von Kantons- und Stadtpolizei Zürich teilen mit» publiziert. Die Verantwortung trägt das handelnde Korps.
Kriminalpolizeiliche Pressekonferenzen werden gemeinsam durchgeführt.
D. Rechts- und Amtshilfe
Art. 25. Der gesamte Dienstverkehr mit auswärtigen Behörden und Amtsstellen in kriminalpolizeilichen Geschäften sowie die Rechts- und Amtshilfe ist der Kantonspolizei vorbehalten. In Rechtshilfeersuchen der Stadtpolizei ist deren Zuständigkeit zu vermerken.
III. Kriminaltechnische Dienste und Wissenschaftlicher Dienst im
besonderen
Erkennungsdienst
Art. 26. Der Erkennungsdienst der Kantons- und der Stadtpolizei führt die Tatbestandsaufnahme, die Auswertung und Registrierung der daktyloskopischen und aller anderen Spuren sowie die erkennungsdienstliche Behandlung von Personen für das ganze Kantonsgebiet durch.
Urkundenlabor
Art. 27. Das Urkundenlabor der Kantonspolizei ist Forschungs-
stätte mit der Aufgabe, neue Methoden zur Erkennung von Fälschungen und Fälschern zu entwickeln. Es bearbeitet alle Fragen der Sicherheit von Urkunden und übernimmt alle Aufträge forensischer Art im Zusammenhang mit Schriften, Schreibmitteln und deren Trägern.
Wissenschaftlicher Dienst
Art. 28. Der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei ist Forschungsstätte mit der Aufgabe, die Anwendung wissenschaftlicher Methoden und neuer Geräte für die Verbrechensbekämpfung und
-verhütung zu erproben und die positiven Ergebnisse den Kriminaltechnikern dienstbar zu machen.
Bei Katastrophen und Straftaten im Zusammenhang mit Sprengstoffen und Flugzeugen führt der Wissenschaftliche Dienst für beide Korps den kriminalwissenschaftlichen und -technischen Teil der Untersuchungen durch.
Sind in Kriminalfällen die Methoden der kriminaltechnischen Dienste unzureichend, ist der Wissenschaftliche Dienst zur Behandlung einzelner Probleme oder zur Durchführung der gesamten kriminaltechnischen Untersuchung beizuziehen.
Der Wissenschaftliche Dienst handelt im Auftrag eidgenössischer oder ausserkantonaler Behörden autonom.
Anschaffungen
Art. 29. Die doppelte Anschaffung teurer Apparate ist zu vermeiden, sofern sie nicht der Durchführung standardisierter Untersuchungsmethoden und damit der Rationalisierung des Arbeitsablaufes oder der spezifischen Grundlagenforschung dienen.
Lehrmittelsammlung
Art. 30. Die Lehrmittelsammlung wird vom Wissenschaftlichen Dienst betreut. Er und die kriminaltechnischen Dienste der Kantonspolizei verpflichten sich zu einer der Sache dienenden Zusammenarbeit.
Stellenbedarf
Art. 31. Bewirkt die Tätigkeit der Kantonspolizei eine Erhöhung des Geschäftsanfalls beim Wissenschaftlichen Dienst, so dass dieser verstärkt werden muss, stellt die Kantonspolizei das notwendige zusätzliche Personal.
Wächst die Geschäftslast des Wissenschaftlichen Dienstes aus andern Gründen, stellt die Stadtpolizei das nötige Personal.
Bewirkt die Tätigkeit der Stadtpolizei auf Stadtgebiet eine Erhöhung des Geschäftsanfalls beim Urkundenlabor der Kantonspolizei, so dass es personell verstärkt werden muss, stellt die Stadtpolizei das notwendige zusätzliche Personal.
IV. Staatsschutz
Zusammenarbeit
Art. 32. Den Staat gefährdende Personengruppen und Einzelpersonen werden von den Nachrichtendiensten der Kantonspolizei und der Stadtpolizei gemeinsam oder in gegenseitigem Einvernehmen überwacht. Die beiden Polizeistellen haben sich über ihre Wahrnehmungen gegenseitig zu orientieren.
Überwachungen
Art. 33. Überwachungen durch die Stadtpolizei sind der Kantonspolizei unverzüglich zu melden, wenn sie sich überraschend über das Stadtgebiet hinaus erstrecken.
Die Kantonspolizei entscheidet, ob sie die Sache selbständig oder gemeinsam mit der Stadtpolizei weiterbehandelt.
Ist vorauszusehen, dass Überwachungen über die Stadtgrenze hinausgehen, entscheiden die beiden Einsatzleiter, ob sie von der Stadtpolizei und der Kantonspolizei gemeinsam oder der Kantonspolizei allein durchzuführen seien.
Bewachungen
Art. 34. Die Bewachung fremder Staatsoberhäupter, hoher ausländischer Regierungs- und Parteifunktionäre, leitender Persönlichkeiten internationaler Organisationen usw. ist Sache der Kantonspolizei. Sie trifft die Begleitschutzmassnahmen im Sinne der jeweiligen Weisungen des Eidgenössischen Politischen Departementes FN4.
Handelt es sich um Besuche stadtbehördlichen Charakters, ist für das Stadtgebiet die Stadtpolizei zuständig. In Ausnahmefällen kann die Stadtpolizei Bewachungen oder Begleitungen solcher Besucher mit Einwilligung des kantonalen Polizeidirektors auch auf das übrige Kantonsgebiet ausdehnen.
Politische Delikte
Art. 35. Die Behandlung der politischen Straftaten und der damit zusammenhängenden Ermittlungen erfolgt auf Stadtgebiet durch diejenige Polizei, welche zuerst in der Angelegenheit tätig geworden ist.
Rapportwesen
Art. 36. Rapporte werden von der Kantons- und der Stadtpolizei der Schweizerischen Bundesanwaltschaft direkt überwiesen.
Kantons- und Stadtpolizei haben sich gegenseitig mit einer Rapportkopie und allfälligen Beilagen zu orientieren.
Rechts- und Amtshilfe
Art. 37. Requisitoriale und Aufträge der Bundesanwaltschaft sowie kantonaler und ausserkantonaler Behörden werden derjenigen Polizei zur Bearbeitung überwiesen, welche bereits in dem betreffenden Geschäft gehandelt hat. Neue Geschäfte der genannten Behörden werden in der Regel durch die Kantonspolizei bearbeitet.
Orientierung
Art. 38. Die Kantons- und die Stadtpolizei setzen sich gegenseitig von allen wichtigen politischen Ereignissen sofort in Kenntnis.
V. Schlussbestimmungen
Inkrafttreten und Kündigung
Art. 39. Diese Vereinbarung bedarf gemäss § 23 Absatz 2 des Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 FN2 der Genehmigung durch den Kantonsrat FN5.
Der Regierungsrat setzt sie im Einvernehmen mit dem Stadtrat von Zürich mit dem Bezug der Liegenschaft Zeughausstrasse 11 und 21 in Zürich in Kraft. Die Vereinbarung kann unter Einhaltung einer Frist von fünf Jahren jeweilen auf den 31. Dezember gekündigt werden.
Aufhebung
Art. 40. Mit dem Inkrafttreten der vorstehenden Bestimmungen ist die Vereinbarung zwischen dem Regierungsrat des Kantons Zürich und dem Stadtrat von Zürich über die Ausübung der Kriminalpolizei und der politischen Polizei auf dem Gebiet der Stadt Zürich vom 30. Dezember 1943 aufgehoben.
___________
FN1 OS 43, 674 und GS IV, 119.
FN2 321.
FN3 SR 311.0.
FN4 Heute Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten.
FN5 Vom Kantonsrat genehmigt am 23. November 1970.