Verordnung
über die Akteneinsicht durch Gerichtsberichterstatter und andere Dritte
(vom 5.Dezember 1941) FN1

§ 1. Auf Gesuch von Zeitungen, Zeitschriften oder Zeitungsagenturen mit ernstem Interesse für die Gerichtsberichterstattung werden zutrauenswürdige Personen bei den zürcherischen Gerichten als Gerichtsberichterstatter besonders zugelassen. Sie erlangen damit über die Rechte hinaus, die sich aus der Öffentlichkeit der Gerichtssitzungen ergeben, die in den §§ 2-4 dieser Verordnung umschriebenen Vergünstigungen.

Ausnahmsweise können Journalisten auch auf eigenes Gesuch zugelassen werden. Sie sind verpflichtet, auf Verlangen dem zulassenden Gericht anzugeben, für welche Zeitungen oder Agenturen sie schreiben, und erschienene Berichte vorzulegen.

Zuständig für die allgemein gültige Zulassung ist die Verwaltungskommission des Obergerichtes. Über die Zulassung bei einem einzelnen Gericht entscheidet dieses oder in dringenden Fällen sein Vorsitzender.

Das Obergericht teilt die allgemein gültige Zulassung seinen Kammern und allen übrigen Gerichten mit. Zulassungen bei einzelnen Gerichten sind dem Obergericht zu melden.

§ 2. Diesen Gerichtsberichterstattern wird nach den folgenden Bestimmungen vor oder nach der Gerichtsverhandlung Einsicht in die Akten gewährt. Das Aktenstudium des Gerichtes und der Parteien darf dadurch nicht gestört werden.

Die Akten nicht öffentlich verhandelter Prozesse werden nicht zugänglich gemacht.

§ 3. In Zivilprozessen wird Einsicht in Urteile und weitere Akten nur mit Zustimmung der Parteien gegeben und nur, wenn dadurch nach Ansicht des Gerichtes keine Rechte oder wichtige Interessen Dritter verletzt werden. Die Zustimmung der Parteien hat der Berichterstatter beizubringen.

§ 4. In Strafsachen wird Einsicht in Anklageschriften, gerichtlich zu beurteilende Polizeistrafverfügungen und in der Sache ergangene Urteile gegeben. Wenn die Interessen der Parteien oder Dritter es verlangen, kann das Gericht die Einsicht in Urteile verweigern. Auf Gesuch kann es weitere Akteneinsicht gewähren, wenn dadurch die berechtigten Interessen der Parteien oder Dritter nicht verletzt werden.

Die Kenntnis der Akten darf erst nach Beginn der Gerichtsverhandlung zur Berichterstattung verwendet werden.

§ 5. Die Gerichtsberichterstatter haben sich bei den Vorsitzenden der Gerichte und Gerichtsabteilungen, über deren Verhandlungen sie berichten wollen, vor Aufnahme ihrer Tätigkeit persönlich anzumelden.

§ 6. Die Gerichtsberichterstatter sind zu wahrheitsgetreuer Berichterstattung verpflichtet.

§ 7. Werden die Pflichten von einem Berichterstatter oder einer Zeitung schwer oder wiederholt verletzt oder wird die Berichtigungspflicht des § 136 des Gerichtsverfassungsgesetzes FN2 nicht oder nicht gehörig erfüllt, so kann die Zulassung im Sinne von § 1 von der Verwaltungskommission des Obergerichtes entzogen werden.

Vor dem Entzug der Zulassung ist der Berichterstatter oder auf dessen Verlangen ein Vertreter des Zürcherischen Pressevereins anzuhören.

Das Gericht, das die Zulassung beschlossen hatte, ist zu vorläufigem Ausschluss berechtigt unter sofortiger Antragstellung an das Obergericht.

Der Entzug der Zulassung ist in gleicher Weise mitzuteilen wie deren Bewilligung.

Das Obergericht kann bestimmen, dass dem schuldigen Teil bis auf ein Jahr und bei wiederholtem Entzug bis auf drei Jahre keine Zulassung mehr bewilligt werden dürfe.

§ 8. Die Einsicht in gerichtliche Akten und Protokolle ist Privatpersonen gestattet, sofern ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme bescheinigt wird (§ 231 des Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch) FN3.

Überdies wird Dritten Einsicht in Urteile, Akten und Protokolle gewährt, wenn die Parteien zustimmen oder wenn ein wissenschaftliches Interesse eine solche Einsicht rechtfertigt und nach Ansicht des Gerichtspräsidenten keine berechtigten Interessen verletzt werden.

§ 9. Die Verwaltungskommission des Obergerichtes bestimmt nach der Genehmigung durch den Kantonsrat den Tag des Inkrafttretens FN4 dieser Verordnung.

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FN1 OS 36, 686 und GS II, 64. Vom Obergericht erlassen.
FN2 211.1.
FN3 230.
FN4 Vom Kantonsrat genehmigt am 18. Mai 1942. In Kraft gesetzt auf den 1. Januar 1943.