Verordnung

über die kantonale Gehörlosenschule

(vom 17. April 1969) FN1

I. Zweck und Aufbau

§ 1. Die kantonale Gehörlosenschule Zürich ist die Sonderschule für gehörlose und beschränkt hörfähige, schulbildungsfähige Kinder des Kantons Zürich und eines weiteren Einzugsgebietes.

§ 2. Die Gehörlosenschule hat die Aufgabe, die Kinder in Zusammenarbeit mit dem Elternhaus zu einer harmonischen Entfaltung ihrer geistigen, seelischen und körperlichen Anlagen zu führen und sie zu möglichst selbständigen und verantwortungsbewussten Gliedern der menschlichen Gemeinschaft zu erziehen.

§ 3. Die Gehörlosenschule umfasst folgende Bildungseinrichtungen:

- Frühberatung und Kindergarten;

- Schule für normal begabte Kinder;

- Kindergarten- und Schulgruppen mit Kindern, die infolge zusätzlicher Gebrechen dem Unterricht der normalen Gehörlosenklassen nicht folgen können.

§ 4. Die Gehörlosenschule führt ein Internat.

II. Erziehung und Unterricht

§ 5. Die Gehörlosenschule unterstützt und ergänzt die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe. Sie pflegt deshalb den Kontakt zwischen Eltern, Schule und Internat und beteiligt die Eltern nach Möglichkeit an der Erziehungs- und Bildungsaufgabe.

§ 6. Die Gehörlosenschule strebt eine umfassende und harmonische Ausbildung aller Anlagen und Fähigkeiten an

- durch eine sorgfältige Ausbildung und Erziehung in der Lautsprache,
- durch eine systematische Ausnützung vorhandener Hörreste und die Entwicklung des Tast- und Vibrationsempfindens,
- durch eine breite, die Unterrichtsgegenstände des VolksschulLehrplans umfassende Ausbildung,
- durch eine sorgfältige religiöse Erziehung,
- durch eine zielgerichtete Erziehung zur selbständigen Lebensgestaltung in der Welt der Hörenden.

§ 7. Die Internatserziehung ist darauf ausgerichtet, vielfältige und erzieherisch fruchtbare Gruppengemeinschaften zu bilden, die dem Kind das Gefühl der Geborgenheit geben, ihm Spielraum für individuelles Gestalten lassen und durch die gegebenen Ordnungen zur Gemeinschaft erziehen. Neben den Hausaufgaben und Hausarbeiten ist den Kindern genügend Zeit für Spiel und Freizeitbeschäftigungen einzuräumen.

§ 8. Um eine möglichst weitgehende soziale und wirtschaftliche Eingliederung zu gewährleisten, arbeitet die Gehörlosenschule zusammen mit den Institutionen der Gehörbehindertenhilfe und den zuständigen Berufsberatungsstellen.

III. Organisatorische Bestimmungen

a) Allgemeines

§ 9. Um das Bildungsziel der Gehörlosenschule zu erreichen, sind zwei Jahre Kindergarten und eine Schulzeit von zehn Jahren nötig.

§ 10. Die Aufnahme von Kindern findet in der Regel auf Beginn eines neuen Schuljahres statt. Für Kindergartenkinder erfolgt sie nur ausnahmsweise vor Vollendung des vierten Altersjahres.

§ 11. Die Kinder werden durch die Schulleitung provisorisch aufgenommen. Über die definitive Aufnahme, die Entlassung nach Erfüllung der obligatorischen Schulpflicht sowie die Versetzung in eine andere Schule entscheidet die Schulleitung in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Erziehungs- und Lehrpersonal.

§ 12. Der Übertritt vom Kindergarten in die erste Klasse erfolgt nach den Bestimmungen der Volksschulgesetzgebung. In besonderen Fällen können im Einvernehmen mit dem Hausarzt der Gehörlosenschule Ausnahmeregelungen getroffen werden.

§ 13. Die Aufsichtskommission setzt Beginn und Abschluss des Schuljahres und die Ferien entsprechend den für die Volksschule geltenden Bestimmungen fest.

§ 14. Das Schul- und Kostgeld wird durch den Regierungsrat auf Antrag der Aufsichtskommission festgesetzt und in einer besonderen Taxordnung niedergelegt.

b) Frühberatung und Kindergarten

§ 15. Die Frühberatung umfasst Elternberatung und Hausspracherziehung. Zur Vorbereitung der Kinder auf den Kindergarten und zur Intensivierung der Erstspracherziehung können Kinder mit ihren Müttern in kleinen Gruppen in der Gehörlosenschule unterrichtet und beraten werden.

§ 16. Eine Kindergartenabteilung umfasst in der Regel sechs bis elf Kinder. Neben den Kindergärtnerinnen arbeitet ein Gehörlosenlehrer für Hör- und Spracherziehung mit.

c) Schule

§ 17. Die Schule ist in eine Grundschule von acht und eine Oberstufe von zwei Jahren gegliedert. Auf der Oberstufe sind die Schüler nach Begabung getrennt zu unterrichten.

§ 18. Eine Gehörlosenklasse umfasst in der Regel sechs bis elf Schüler. Ab zwölf Schülern ist sie doppelt zu führen.

§ 19. An der Grundschule und an der Oberstufe erteilt der Klassenlehrer den gesamten Unterricht, soweit es seine Stundenverpflichtung und die Organisation der Schule zulassen.

In der Regel hat während der Dauer der Grundschule einmal ein Lehrerwechsel stattzufinden.

§ 20. Damit der Lehrer der unteren Klassen seinen Schülern individuellen Hör- und Sprachunterricht erteilen kann, wird ihm eine Schulhilfe zugeteilt.

§ 21. Für den speziellen Hörunterricht und die Betreuung der Höranlagen und Hörgeräte wird ein besonderer Hörlehrer eingesetzt.

§ 22. Der Erziehungsrat bestimmt in einem Lehrplan Lehrziel, Lehrstoff und die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden.

§ 23. Die Schüler erhalten Zeugnisse auf das Ende des Sommer- und des Winterhalbjahres.

d) Sondergruppen für mehrfach behinderte Kinder

§ 24. Die Kindergarten- und Schulgruppen mit mehrfach behinderten Kindern umfassen in der Regel vier bis sechs Kinder verschiedener Jahrgänge. Sie werden von Kindergärtnerinnen oder Gehörlosenlehrern geführt, denen eine Kindergarten- bzw. Schulhilfe zugeteilt wird.

e) Internat und Externat

§ 25. Die Gehörlosenschule will möglichst vielen Kindern den Besuch des Unterrichts als externe Schüler ermöglichen. Dies wird erreicht durch eine angepasste Organisation des Schulbetriebs und den Einsatz von Transportmitteln.

§ 26. Um Kindern, deren Schulweg für externen Schulbesuch zu weit ist, die Sonderschule zu ermöglichen, führt die Gehörlosenschule ein Internat.

§ 27. Das Internat wird als Wocheninternat geführt. Die Kinder verbringen Ferien und Wochenende bei den Eltern. In besonderen Fällen können abweichende Regelungen getroffen werden.

§ 28. Das Internat umfasst Gruppen von acht bis zwölf Kindern. Die Gruppen werden von Heimerzieherinnen geführt, denen eine Heimgehilfin oder Praktikantin zugeteilt werden kann.

§ 29. Die Betreuung externer Kinder während der Mittagspause erfolgt in den Internatsgruppen oder in einem besonderen Hort, der von einer Heimerzieherin oder einer Schul- und Kindergartenhilfe geführt wird.

IV. Schulleitung

§ 30. Die Leitung und Verwaltung der Gehörlosenschule ist einem Direktor übertragen, der vom Regierungsrat auf eine Amtsdauer von vier Jahren gewählt wird.

§ 31. Der Direktor leitet die Gehörlosenschule und vertritt sie nach aussen.

Er arbeitet durch Erteilung von Unterricht in Kindergarten und Schule aktiv mit und sorgt für die Einführung neueintretender Lehrkräfte in die Probleme der Erziehung und Bildung gehörloser Kinder.

Der Direktor leitet zusammen mit seiner Frau das Internat. Sie überwachen die gesamte Erziehung und Pflege der Kinder.

Er ist Vorsitzender des Hauskonventes und der Fachkonvente.

Er überwacht die Verwaltung und ist für die sorgfältige Verwendung der finanziellen Mittel verantwortlich. Auf Ende des Kalenderjahres legt er der Aufsichtskommission zuhanden der Behörden Rechnung ab und verfasst den Jahresbericht.

§ 32. Die Aufsichtskommission bestellt im Einvernehmen mit dem Direktor einen Lehrer als Stellvertreter des Direktors in Schulfragen.

Andere Vertretungen werden von der Aufsichtskommission von Fall zu Fall geregelt.

§ 33. Die Dienst-, Besoldungs- und Versicherungsverhältnisse des Direktors richten sich nach der Beamtenverordnung FN3 und nach den Bestimmungen der Beamtenversicherungskasse FN4.

V. Mitarbeiterschaft

a) Lehr- und Erziehungspersonal

§ 34. Die Mitarbeiterschaft der kantonalen Gehörlosenschule setzt sich aus Gehörlosenlehrern, Arbeitslehrerinnen, Fachlehrern, Kindergärtnerinnen, Schul- und Kindergartenhilfen, Heimerzieherinnen und Heimgehilfinnen zusammen.

§ 35. Die Mitarbeiter von Schule, Kindergarten und Internat bilden je einen Fachkonvent, der wöchentlich einmal zusammentritt. Er dient der Behandlung von Fragen des Unterrichtes, der Erziehung und der Organisation sowie der Weiterbildung.

§ 36. Alle Mitarbeiter bilden zusammen den Hauskonvent. Die vollamtlich tätigen Mitarbeiter sind stimmberechtigt, die übrigen können mit beratender Stimme am Konvent teilnehmen.

Der Hauskonvent tritt mindestens einmal pro Quartal zusammen. Er kann jederzeit einberufen werden, wenn dies vom Direktor oder von mindestens fünf Mitgliedern verlangt wird.

Der Hauskonvent behandelt wichtige Unterrichts-, Erziehungs- und Organisationsfragen und dient der Weiterbildung. Er hat das Recht, in diesen Fragen Antrag an die Aufsichtskommission zu stellen.

Er hat das Recht, der Aufsichtskommission einen Vorschlag für die Wahl des Direktor-Stellvertreters in Schulfragen zu unterbreiten.

Das Protokoll des Hauskonvents führt ein vom Konvent gewählter Aktuar.

§ 37. Die Anstellungsbedingungen richten sich nach dem Reglement über die Dienst- und Besoldungsverhältnisse FN5 und den Bestimmungen der kantonalen Beamtenversicherungskasse FN4.

b) Übriges Personal

§ 38. Das Haus- und Kanzleipersonal untersteht den für das kantonale Betriebs- und Verwaltungspersonal geltenden Bestimmungen.

Die Anstellung erfolgt im Rahmen des vom Regierungsrat genehmigten Stellenplanes durch die Erziehungsdirektion auf Antrag der Schulleitung bzw. durch die Schulleitung direkt.

VI. Ärztlicher Dienst

§ 39. Der Regierungsrat wählt einen Hausarzt, dem die ärztliche Untersuchung der Kinder, die Überwachung der gesundheitlichen Verhältnisse, die Durchführung sanitarischer Massnahmen und die Behandlung kranker Internatskinder anvertraut ist, sowie einen Facharzt für den psychiatrischen und psychotherapeutischen Dienst. Sie erstatten der Aufsichtskommission Bericht über besondere Beobachtungen und unterbreiten ihr Anträge über allfällig von ihr zu treffende Massnahmen.

§ 40. Soweit es sich für die Förderung und Schulung der Kinder als notwendig erweist, können weitere Fachärzte und Therapeuten zugezogen werden.

§ 41. Die Gehörlosenschule sorgt für die Durchführung der in den Vorschriften über den schulärztlichen Dienst festgelegten Massnahmen.

§ 42. FN7

VII. Aufsichtskommission

§ 43. Die Aufsichtskommission wird durch den Regierungsrat gewählt. Sie besteht aus 10 Mitgliedern. FN6

Der Erziehungsdirektor oder ein Mitglied des Erziehungsrates ist Präsident der Aufsichtskommission. Das Aktuariat wird durch die Erziehungsdirektion besorgt.

§ 44. Der Direktor und sein Stellvertreter wohnen den Sitzungen der Aufsichtskommission mit beratender Stimme bei.

§ 45. Die Aufsichtskommission überwacht den gesamten Betrieb der Gehörlosenschule und trifft die erforderlichen Anordnungen im Rahmen der Reglemente und des Lehrplans.

Sie beantragt den Oberbehörden die von diesen zu treffenden Massnahmen, wie Anstellung und Entlassung von Mitarbeitern, wesentliche bauliche Veränderungen und Änderungen der Organisation, des Unterrichts und des Lehrplanes. Sie behandelt Anträge der Schulleitung, des Hauskonventes und der Ärzte sowie allfällige Beschwerden. Im weiteren nimmt die Aufsichtskommission Jahresbericht und Jahresrechnung entgegen.

Den weiblichen Mitgliedern der Aufsichtskommission fällt insbesondere die Aufgabe zu, den Handarbeits- und Hauswirtschaftsunterricht für Mädchen sowie das Internat und den Wirtschaftsbetrieb zu überwachen.

Die Aufsichtskommission stellt Antrag zuhanden des Regierungsrates über die Verwendung nicht zweckbestimmter Legate und Gaben und beschliesst Ausgaben zu Lasten des Fonds der Gehörlosenschule Zürich bis zum Betrag von Fr. 10 000 (im Einzelfall) für einmalige und wiederkehrende Ausgaben. Über höhere Ausgaben entscheidet die Erziehungsdirektion.

Die Aufsichtskommission beurteilt schwerwiegende schulische Disziplinarfälle.

§ 46. Die Mitglieder der Aufsichtskommission haben die Gehörlosenschule mindestens zweimal jährlich zu besuchen.

§ 47. Der Handarbeits- und Hauswirtschaftsunterricht der Mädchen, der Knabenhandarbeits- sowie der Turnunterricht unterstehen im weiteren der Fachaufsicht durch die kantonalen Inspektoren bzw. Experten.

VIII. Schlussbestimmungen

§ 48. Gegen Anordnungen der Schulleitung ist Rekurs an die Aufsichtskommission möglich. Im übrigen gelten für das Rekursverfahren die Bestimmungen des Verwaltungsrechtspflegegesetzes FN2.

§ 49. Die vorstehende Verordnung tritt auf den 1. Mai 1969 in Kraft. Mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung wird das Reglement für die kantonale Taubstummenanstalt in Zürich vom 10. März 1955/ 20. August 1959 aufgehoben.

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FN1 OS 43, 248 und GS III, 178. Vom Regierungsrat erlassen.
FN2 175.2.
FN3 177.11.
FN4 177.20.
FN5 Heute 177.12.
FN6 Fassung gemäss G vom 18. Dezember 1985 (OS 49, 508).
FN7 Aufgehoben durch RRB vom 17. April 1996 (OS 53, 340). In Kraft seit 17. April 1996.