Gesetz
über das Sozialversicherungsgericht
(vom 7.März.1993) FN1
A. Stellung und Zuständigkeit des Sozialversicherungsgerichts
Stellung und Sitz
§ 1. Das Sozialversicherungsgericht ist ein selbständiges Gericht.
Der Regierungsrat bestimmt den Sitz.
Das Gericht erstattet dem Kantonsrat jährlich Bericht über seine Tätigkeit.
Zuständigkeit
a) bundesrechtliche Streitigkeiten
§ 2. Das Sozialversicherungsgericht beurteilt als einzige kantonale gerichtliche Instanz:
a) Klagen nach Art. 52 des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) FN8 in Verbindung mit Art. 81 Abs. 3 der Verordnung dazu (AHVV) FN9 sowie Beschwerden nach Art. 84 und 91 Abs. 2 des Gesetzes,
b) Beschwerden nach Art. 69 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) FN10,
c) Beschwerden nach Art. 7 des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) FN11,
d) Klagen nach Art. 73 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (BVG) FN12 einschliesslich die freiwillige Vorsorge der Personalvorsorgestiftungen gemäss Art. 89bis Abs. 5 und 6 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) FN7,
e) Beschwerden nach Art. 86 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung FN13,
f) Beschwerden nach Art. 106 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) FN14,
g) Beschwerden nach Art. 104 des Bundesgesetzes über die Militärversicherung FN15,
h) Beschwerden nach Art. 24 des Bundesgesetzes über die Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee und Zivilschutz (EOG) FN16,
i) Beschwerden nach Art. 22 des Bundesgesetzes über die Familienzulagen in der Landwirtschaft (FLG) FN17,
k) Beschwerden nach Art. 100 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) FN18.
b) kantonalrechtliche Streitigkeiten
§ 3. Das Sozialversicherungsgericht entscheidet endgültig über
a) Beschwerden betreffend Beihilfen und Gemeindezuschüsse nach §§ 13 und 20 des Gesetzes über die Zusatzleistungen zur Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung FN4,
b) Beschwerden nach § 18 des Gesetzes über die Leistungen an Arbeitslose FN6,
c) Beschwerden nach dem Gesetz über Kinderzulagen für Arbeitnehmer FN5.
c) Änderungen
§ 4. Der Kantonsrat kann den Zuständigkeitsbereich des Sozialversicherungsgerichts an die Änderungen der Gesetzgebung anpassen.
B. Organisation des Sozialversicherungsgerichts
Bestand und Wahl
§ 5. Das Gericht besteht aus sechs vollamtlichen Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern. Der Kantonsrat kann die Zahl der Mitglieder und der Ersatzmitglieder ändern.
Der Kantonsrat wählt die Mitglieder und die Hälfte der Ersatzmitglieder. Anstelle von vollamtlichen Mitgliedern kann er teilamtliche Mitglieder wählen. Die weiteren Ersatzmitglieder werden vom Gericht gewählt.
Die Amtsdauer der Mitglieder und der Ersatzmitglieder beträgt sechs Jahre.
Der Kantonsrat regelt die Besoldung der Mitglieder und die Entschädigung der Ersatzmitglieder FN2.
Gesamtgericht
§ 6. Das Gesamtgericht besteht aus den vollamtlichen und teilamtlichen Mitgliedern. In den Belangen der gerichtsinternen Verwaltungsverfahren gemäss §§ 7 und 8 beträgt die Stimme der teilamtlichen Mitglieder einen Bruchteil der Stimme eines vollamtlichen Mitglieds, entsprechend dem Beschäftigungsgrad.
Verordnungsrecht
§ 7. Das Gesamtgericht regelt durch Verordnung
a) die Organisation und den Geschäftsgang,
b) die Gebühren, Kosten und Entschädigungen,
c) die Organisation und die Aufgaben des Sekretariats und der Kanzlei.
Diese Verordnungen bedürfen der Genehmigung des Kantonsrates.
Wahlen, Personalrecht
§ 8. Das Gesamtgericht wählt
a) seine Präsidentin oder seinen Präsidenten sowie die Vizepräsidentinnen oder Vizepräsidenten aus der Zahl der vollamtlichen Mitglieder,
b) die Hälfte der Ersatzmitglieder,
c) die Mitglieder des Sekretariats auf eine Amtsdauer von sechs und das übrige Personal auf eine solche von vier Jahren.
Das Gesamtgericht setzt die Besoldungen der Mitglieder des Sekretariats und der Kanzlei nach den entsprechenden Ansätzen für die beim Obergericht beschäftigten Beamten und Angestellten fest.
Besetzung
§ 9. Das Gericht wird für seine Entscheide mit drei Richtern besetzt.
Die Präsidentin, der Präsident, eine Vizepräsidentin oder ein Vizepräsident führt den Vorsitz.
An den Verhandlungen und Beratungen nimmt ein Mitglied des Sekretariats teil. Es hat beratende Stimme.
Entscheide können bei Einstimmigkeit auf dem Zirkulationsweg getroffen werden.
Vorsitz
§ 10. Das vorsitzende Mitglied trifft die prozessleitenden Anordnungen. Es kann diese Befugnis einem Mitglied des Gerichts oder des Sekretariats übertragen.
Das vorsitzende Mitglied erlässt formelle Erledigungsverfügungen, ausgenommen Nichteintretensentscheide.
Einzelrichterliche Zuständigkeit
§ 11. Die voll- und teilamtlichen Mitglieder des Gerichts entscheiden als Einzelrichterinnen und Einzelrichter Streitigkeiten, deren Streitwert Fr. 8000 nicht übersteigt.
Sie treffen in diesem Bereich die prozessleitenden Anordnungen. Diese Befugnisse können sie einem Mitglied des Sekretariats übertragen.
Die Einzelrichterin oder der Einzelrichter kann das Verfahren dem Gericht zur Behandlung in ordentlicher Besetzung überweisen, wenn die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse es rechtfertigen.
Ergänzende Bestimmungen
§ 12. Ergänzend finden die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes über Bestand und Zuständigkeit der Gerichte (Allgemeine Bestimmungen), den Ausstand der Justizbeamten, die richterliche Unabhängigkeit, auswärtige Amtshandlungen und Rechtshilfe sowie über das Verfahren sinngemäss Anwendung FN19.
C. Verfahren
Einleitung des Verfahrens
§ 13. Die Einleitung des Verfahrens erfolgt nach den Spezialgesetzen und den nachstehenden Bestimmungen.
Die Vorinstanz hat ihre Verfügung mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.
Die gesetzlichen und richterlichen Fristen, die nach Tagen bestimmt sind, stehen still:
a) vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern,
b) vom 15. Juli bis und mit dem 15. August,
c) vom 18. Dezember bis und mit dem 1. Januar.
Diese Fristen werden den Parteien angezeigt.
Einsprache
§ 14. Wo eine Einsprache vorgeschrieben ist, ist unter Vorbehalt der Bundesgesetzgebung die Beschwerde erst gegen den Einsprachentscheid zulässig.
Vertretung
§ 15. Die Parteien können sich vertreten oder verbeiständen lassen.
Unentgeltliche Rechtsvertretung
§ 16. Einer Partei wird auf Gesuch eine unentgeltliche Rechtsvertretung bestellt, wenn sie nicht in der Lage ist, den Prozess selber zu führen, ihr die nötigen Mittel fehlen und der Prozess nicht als aussichtslos erscheint.
Vorsorgliche Massnahmen
§ 17. Das Gericht trifft auf Antrag oder von Amtes wegen die erforderlichen vorsorglichen Massnahmen.
Beschwerdeoder Klageschrift
§ 18. Das Verfahren wird durch die Einreichung einer Beschwerdeoder Klageschrift eingeleitet.
Diese hat eine kurze Darstellung des Sachverhalts, ein klares Rechtsbegehren und dessen Begründung zu enthalten. Die Beweismittel sollen bezeichnet und soweit möglich eingereicht werden. Der angefochtene Entscheid ist beizulegen.
Genügt die Eingabe den Anforderungen nicht, setzt das Gericht eine angemessene Frist zur Verbesserung an, mit der Androhung, dass sonst auf die Beschwerde oder die Klage nicht eingetreten werde.
Stellungnahmen
§ 19. Die Gegenpartei erhält Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme. Die Beweismittel sollen bezeichnet und soweit möglich eingereicht werden.
Erweist sich die Beschwerde oder die Klage offensichtlich als unzulässig oder aussichtslos, kann das Gericht ohne Anhörung der Gegenpartei sofort entscheiden.
Es kann ein weiterer Schriftenwechsel angeordnet oder zur mündlichen Verhandlung vorgeladen werden.
Die Parteien werden zur Ergänzung ihrer Ausführungen aufgefordert, soweit letztere unvollständig oder unklar sind.
Rechtsauskunft; Erklärungen zu Protokoll
§ 20. Das Sekretariat erteilt Rechtsauskünfte. Es nimmt von Privaten Erklärungen, welche Rechtsschriften ersetzen, zu Protokoll entgegen.
Vorinstanz
§ 21. Die Vorinstanz reicht ihre vollständigen Akten ein. Sie kann sich vernehmen lassen; das Gericht kann sie dazu verpflichten.
Akteneinsicht
§ 22. Die Parteien haben Anspruch auf Einsicht in die Akten. Die Wahrung wichtiger öffentlicher und schutzwürdiger privater Interessen durch das Gericht bleibt vorbehalten.
Beweisverfahren
§ 23. Das Gericht bezeichnet die für den Entscheid erheblichen Tatsachen und gibt den Parteien Gelegenheit, Beweismittel zu bezeichnen. Im übrigen erhebt das Gericht die Beweise von Amtes wegen. Den Parteien werden die Rechtsnachteile förmlich angedroht, welche bei Verweigerung der Mitwirkung entstehen.
Die Durchführung des Beweisverfahrens kann ganz oder teilweise einer Abordnung oder einem Mitglied des Gerichts übertragen werden.
Sind Beweise erhoben worden, so erhalten die Parteien Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
Öffentlichkeit
§ 24. Die Verhandlungen des Gerichts sind öffentlich. Das Gericht kann die Öffentlichkeit aus wichtigen Gründen von sich aus oder auf Antrag einer Partei von den Verhandlungen ausschliessen. Die Beratungen finden unter Ausschluss der Parteien und der Öffentlichkeit statt.
Entscheid
§ 25. Das Gericht ist an die Begehren der Parteien nicht gebunden. Es kann eine Verfügung zum Nachteil einer Partei ändern oder dieser mehr zusprechen, als sie verlangt hat, wobei den Parteien vorher Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.
Rückweisung
§ 26. Das Gericht kann die Angelegenheit zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückweisen, besonders wenn mit dem angefochtenen Entscheid nicht auf die Sache eingetreten oder der Sachverhalt ungenügend festgestellt wurde.
Inhalt und Mitteilung der Entscheide
§ 27. Die Entscheide werden den Parteien schriftlich mitgeteilt. Sie enthalten die Besetzung des Gerichts, eine Begründung, das Dispositiv und eine Rechtsmittelbelehrung.
Das Gericht kann Entscheide ohne Begründung mitteilen und den Parteien anzeigen, dass sie innert 10 Tagen schriftlich die Begründung verlangen können, ansonst der Entscheid in Rechtskraft erwachse. Die Rechtsmittelfristen beginnen mit der Zustellung des begründeten Entscheids zu laufen.
Ergänzende Bestimmungen
§ 28. Ergänzend findet die Zivilprozessordnung FN3 sinngemäss Anwendung.
D. Revision
Revisionsgründe
§ 29. Gegen rechtskräftige Entscheide des Gerichts kann Revision verlangt werden wegen Entdeckung neuer Tatsachen oder Beweismittel oder wegen Einwirkung durch Verbrechen oder Vergehen.
Frist
§ 30. Das Revisionsgesuch ist innert 90 Tagen, von der Entdeckung des Revisionsgrundes an gerechnet, beim Gericht schriftlich einzureichen.
Gesuch
§ 31. Im Revisionsgesuch sind die Tatsachen, mit denen die Revision begründet wird, genau aufzuführen, und es ist nachzuweisen, dass die Frist gemäss § 30 eingehalten wurde. Beweismittel sollen beigelegt oder, soweit dies nicht möglich ist, genau bezeichnet werden.
Ergänzende Bestimmungen
§ 32. Das Revisionsverfahren richtet sich im übrigen sinngemäss nach der Zivilprozessordnung FN3.
E. Kosten und Entschädigungen
Kosten
§ 33. Das Verfahren ist in der Regel kostenlos. Einer Partei, die sich mutwillig verhält, können jedoch eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt werden.
Entschädigungen
§ 34. Die Parteien haben auf Antrag nach Massgabe ihres Obsiegens Anspruch auf den vom Gericht festzusetzenden Ersatz der Parteikosten. Dieser wird ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen.
Den Versicherungsträgern und den Gemeinwesen steht dieser Anspruch in der Regel nicht zu.
F. Schiedsgericht
Stellung
§ 35. Das Schiedsgericht ist dem Sozialversicherungsgericht angegliedert.
Zuständigkeit
§ 36. Das Schiedsgericht beurteilt als einzige kantonale Instanz Streitigkeiten nach Art. 25 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung FN13, Art. 57 UVG FN14 und Art. 26 Abs. 4 IVG FN10.
Zusammensetzung und Verfahren
§ 37. Der Regierungsrat regelt die Zusammensetzung des Schiedsgerichts und das Verfahren.
Die Kanzlei des Sozialversicherungsgerichts besorgt die Kanzleigeschäfte.
Wahlen
§ 38. Das Sozialversicherungsgericht wählt aus seiner Mitte das leitende Mitglied des Schiedsgerichts und seine Stellvertretung.
Der Regierungsrat wählt die übrigen Mitglieder des Schiedsgerichts.
Ausstand
§ 39. Über Ausstandsbegehren entscheidet das Sozialversicherungsgericht.
Berufsgeheimnis
§ 40. Die Parteien sind von der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses entbunden, soweit dies zur Feststellung des Sachverhalts in der streitigen Angelegenheit erforderlich ist.
Rechtsmittel
§ 41. Gegen die Entscheide des Schiedsgerichts sind nur die Revision und die Beschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht zulässig.
Kosten und Entschädigungen
§ 42. Die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Prozesskosten finden sinngemäss Anwendung.
G. Änderungen bisherigen Rechts
Änderung bestehender Gesetze
§ 43. Die nachstehenden Gesetze werden wie folgt geändert: . . . FN21
H. Schlussbestimmungen
Übergangsbestimmung
§ 44. Das Sozialversicherungsgericht übernimmt mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes die hängigen Geschäfte, welche in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, und führt sie nach den neuen Bestimmungen weiter.
Inkrafttreten
§ 45. Dieses Gesetz untersteht der Volksabstimmung.
Es tritt nach der Genehmigung durch den Bundesrat auf den vom Regierungsrat zu bestimmenden Zeitpunkt in Kraft FN20.
Der Regierungsrat kann einzelne Bestimmungen gesondert in Kraft setzen FN22.
___________
FN1 OS 52, 420.
FN2 212.83.
FN3 271.
FN4 831.3.
FN5 836.1.
FN6 837.2.
FN7 SR 230.
FN8 SR 831.10.
FN9 SR 831.101.
FN10 SR 831.20.
FN11 SR 831.30.
FN12 SR 831.40.
FN13 SR 832.10.
FN14 SR 832.20.
FN15 SR 833.1.
FN16 SR 834.1.
FN17 SR 836.1.
FN18 SR 837.0.
FN19 Vgl. 221.1 §§ 1 f.; 95 f.; 104; 112 f.; 121 f.
FN20 In Kraft seit 1. Januar 1995 (OS 53, 34).
FN21 Text siehe OS 52, 420.
FN22 § 5 in Kraft seit 1. August 1993 (OS 52, 471); §§ 1 Abs. 1, 6-8, 37, 38, 43 lit. g-k in Kraft seit 1. November 1993 (OS 52, 554); §§ 1 Abs. 2, 2-4, 9-36, 39-43 lit. a-f, 44 in Kraft seit 1. Januar 1995 (OS 53, 34).